Gesunder Arbeitsplatz

Während einer Tagung in einem Hotel: Normalerweise winkte uns unser Portier vor dem in väterlicher Hoteleingang Freundlichkeit zu, wenn wir uns seinem Herrschaftsbezirk auch nur von Ferne näherten. Das heißt unser Portier winkte nicht. Es war mehr die Geste eines wohlwollend jovialen Souveräns, mit der unser Portier den Unter- arm abwinkelte und uns das Blau-Rot des Uniformärmels von der Unterseite zeigte. Sozusagen eine intime Geste der Vertrautheit, denn unser Portier stand ansonsten seinen würdigen Mann und diese Unterseite war dabei nie zu sehen. Heute winkte er nicht, heute winkelte er nicht, heute geschah nichts, als wir auf ihn zugingen und mehrfach von uns aus Versuche zur Aufnahme der Kommunikation unternahmen. Er blickte merkwürdig starr geradeaus und neigte nicht, wie sonst, sein zur Uniform passendes blaurot durchadertes Gesicht in die Richtung, aus der er uns Menschenkinder hörte oder sah. Erst beim Näherkommen sahen wir, was los war: Unser Portier hatte die kleinen scharf- schnellen Augen geschlossen und schlief. Es war das erste Mal, daß wir einen aufrecht stehenden Menschen schlafen sahen. Noch dazu im Dienst. Zum Test, wie tief solch Schlaf sei, gingen wir langsam an ihm vorbei. Durchaus so, dass er das leise Schlurfen unserer Schuhe auf dem roten Teppich hätte hören können. Keine Reaktion. Wir gingen an ihm vorbei und hinein in das Foyer. Rückblickend begriffen wir, wie hervorragend unser Portier seinen Schlafstandort gewählt hatte: Er stand da draußen in der Frühlingssonne genau vor der Mittelsäule, die ihn vor den Augen kritischer Arbeitskontrolleure oder missgünstiger Kollegen schützte. Ich machte mir Sorgen, wie weit unser Portier den Empfang eines neuen Gastes verschlafen könnte, seinen Arbeitsplatz etwa riskierte. Ich testete weiter: Ich ließ von unserem Balkon aus die Murmel, die ich bei Friederike einmal gewonnen hatte, genau neben den roten Teppich fallen. Etwa 2 Meter neben dem Teppich sanft schlafendem Portier bohrte sich die Murmel in die Erde eines Pflanzenkübels. Anschließend flitzte ich mit dem Fahrstuhl herunter und ging von hinten auf unseren Portier zu. Dieser war gerade mit dem Ausladen eines vorgefahrenen Schlittens beschäftigt und war wie immer: Freundlich, eifrig, väterlich. Mit einem Wort: Da. Ich bestellte mir einen Drink an der Bar und setzte mich damit so, daß ich seitlich Ausblick auf ihn hatte. Unser Portier schlief zwischen sämtlichen Dienstgeschäften fest und ruhig. Ich hätte größere Murmeln nehmen können und ganze Säcke - nur nahendes Motorengeräusch weckte ihn. „Und die Gäste, die ohne Auto zurückkommen," fragte ich ihn, nachdem ich ihn direkt auf seine Begabung angesprochen hatte, „was sagen die?" „Was glauben Sie, mein Herr: Ich schlafe doch nur, wenn mir vertraute Gäste das Haus verlassen haben. Solche, die es mir nicht verübeln, sollten sie mich mal schlafend antreffen. Bei Autos mit Fremden bin ich immer rechtzeitig wach. Und zu Fuß kommt hier nie ein neuer Gast."

23. Mai 1995